Wind-Auktion: Unsicherheit beim Zubau – Politik reagiert kurzfristig!

In der ersten Ausschreibungsrunde für Onshore-Wind am 2.5.2017 wurden fast alle Zuschläge über eine Ausnahmeregelung vergeben. Unter Nutzung dieser Sonderregelung für Bürgerenergiegesellschaften (BEG) nach §36g EEG 2017 gingen rund 92% aller Zuschläge an Projekte, die noch nicht die normalerweise erforderliche Bau- und Betriebsgenehmigung haben. Diese unterliegen einer auf bis zu viereinhalb Jahre verlängerten Realisierungsfrist. Dieses Ergebnis bedeutet de facto die Abkehr von der eigentlich vom Gesetzgeber angekündigten „späten Ausschreibung“, welche eine Genehmigung als Gebotsvoraussetzung erforderte und damit auf zeitnahe Inbetriebnahme und hohe Realisierungsquoten ausgerichtet war. Die Folge könnte ein „Fadenriss“ im Windkraftausbau sein, der für alle Akteure der Branche Ungewissheit mit sich bringt. Auf diese drohende Investitionslücke von ca. 2 Jahren hat die Politik nun kurzfristig reagiert: die Befreiung von der BImSchG-Genehmigung für Bürgerenergieprojekte als Teilnahmevoraussetzung an der Auktion wird in 2018 für die ersten beiden Auktionsrunden ausgesetzt (Moratorium). Hierzu erfolgte am 29.06.2017 eine Anpassung des EEGs im Rahmen des Mieterstromgesetzes. Nachfolgend analysieren wir die Ergebnisse der ersten Windauktion, stellen die Hintergründe für dieses „Moratorium“ dar und diskutieren mögliche Konsequenzen für die Windbranche und die kommende Auktionsrunde am 1. August 2017.

„Späte“ Ausschreibung mit dem Ziel einer hohen Realisierungsquote
Das BMWi hatte für das Ausschreibungssystem bereits Anfang 2016 Leitlinien festgelegt. Die Kontinuität des EE-Ausbaus sowie eine hohe Realisierungsquote bezuschlagter Projekte sind darin als übergeordnete Ziele definiert. Ausgehend von dieser Prämisse wurde im EEG 2017 für Onshore-Wind eine „späte Ausschreibung“ als Standardfall vorgesehen. In diesem System können grundsätzlich nur Projekte bieten, die bereits eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) haben. Das Genehmigungsrisiko liegt also vor dem Gebot, was hohe Realisierungsquoten und einen reibungslosen Übergang aus der Preis- in die Mengensteuerung sicherstellen sollte. Dass es nun anders kam, liegt an einer Sonderregelung für im EEG 2017 §36g definierte Bürgerenergiegesellschaften (BEG).

Was zeigt das Auktionsergebnis?
Geplant als späte Ausschreibung mit der Genehmigung als allgemeine Zugangsvoraussetzung endete die erste Ausschreibungsrunde de facto als frühe Ausschreibung mit Zuschlägen vor allem an noch nicht genehmigte Projekte. Grund dafür ist die Nutzung der BEG-Sonderregelung nach §36g. Für BEG gilt ein Katalog von Vorteilen, wenn sie gewisse Anforderungen an die Gesellschaftsstruktur erfüllen (u.a. Beteiligung von mind. 10 Bürgern mit Wohnsitz vor Ort). Folgende Vorteile gelten für BEG, die normalen Bietern (Standardfall im EEG 2017) nicht zustehen:

  1. BImSchG-Genehmigung ist für die Gebotsabgabe nicht erforderlich (Standardfall: BImSchG-Genehmigung muss vor Gebotsabgabe vorliegen)
  2. Zuschlag ist nicht standortspezifisch und kann auch nachträglich noch innerhalb des Landkreises transferiert werden (Standardfall: Zuschlag ist mit Genehmigung verbunden und kann nicht transferiert werden)
  3. Realisierungsfrist beträgt 48 bis 54 Monate (Standardfall: 24 bis 30 Monate)
  4. Zuschlag wird nach Einheitspreisverfahren erteilt (Standardfall: Gebotspreisverfahren)
  5. Reduzierte Sicherheitsleistung von 15€/kW, Zweitsicherheit in gleicher Höhe bei Zuordnung der Genehmigung (Standardfall: 30€/kW vor Gebot)

Diese Ausnahmen wurden vom Gesetzgeber geschaffen, um von Bürgern vor Ort initiierten Windprojekten in einem verschärften Ausschreibungswettbewerb eine Chance auf Marktteilnahme zu sichern.

Diese Ausnahmen gewähren einen wesentlichen wettbewerblichen Vorteil: Mit den mutmaßlich nied-rigeren Stromgestehungskosten der weiter in der Zukunft liegenden Projekte (u.a. kosteneffizientere WEA-Typen, Herstellerverhandlungen können nach erfolgtem Gebotszuschlag erfolgen) können die tendenziell heute teureren BImSchG-Projekte in der aktuellen Ausschreibung verdrängt werden. Risiko-steigernd wirken sich bei einem solchen Gebot jedoch insbesondere mögliche zukünftige Erhöhungen der FK-Zinsen aus.

Aufgrund dieser wettbewerblichen Vorteile wurde die BEG-Regelung in der ersten Runde umfassend genutzt. Dies führte dazu, dass sich bereits das Angebot zur ersten Auktionsrunde zu rund 70% aus noch nicht genehmigten Projekten zusammensetzte (vgl. Abb. 1).

Noch deutlich höher war die Erfolgsquote von Geboten ohne Genehmigung in Bezug auf die Zuschläge: nur 8% (rd. 65 MW) aller bezuschlagten Projekte hatten bereits eine Genehmigung und müssen nun innerhalb von 24 – 30 Monaten nach Zuschlag in Betrieb gehen. 92% (rd. 742 MW) haben keine Genehmigung bzw. diese bisher zwar beantragt aber noch nicht erhalten (vgl. Abb. 2).

Was heißt das für den Windmarkt? Fadenriss droht
Für die bezuschlagten BEG-Projekte endet die Realisierungsfrist erst in viereinhalb Jahren Ende November 2021. Es kommt somit zu einer Verschiebung geplanter Inbetriebnahmen um rund 2 Jahre gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Zeitplan für genehmigte Projekte. Dies könnte zu einer Investitionslücke in der Windindustrie führen, da die Anschlussinvestitionen nach Auslaufen der momentanen „Errichtungswelle“ von Anlagen noch aus dem alten EEG nächstes Jahr vorerst ausbleiben. Die Gefahr eines solchen Fadenrisses für die Jahre 2019/2020 hat auch aufgrund einer gemeinsamen Verbändeinitiative die Politik erkannt und hat daher insbesondere die Befreiung von der BImSchG für die BEG für die Auktionsrunden zum 1.2.2018 und 1.5.2018 vorerst ausgesetzt (siehe Mieterstromgesetz vom 29.06.2017). Für die beiden nächsten Auktionsrunden am 1.8. und 1.11.2017 bleiben die BEG-Privilegien jedoch unverändert erhalten. Dies muss bei der Vorbereitung auf diese Auktionsrunden berücksichtigt werden.

Vorbereitung auf die nächste Auktionsrunde
Aus der ersten Auktionsrunde verbleiben rund 743 MW nicht bezuschlagte BEG-Gebote sowie rund 587 MW nicht-BEG-Projekte ohne Zuschlag. Zusätzlich zu diesem Angebot von 1.330 MW sind neue Genehmigungen zu erwarten. Damit ist das Auktionsvolumen von 1.000 MW zum 1.8. perspektivisch bereits überzeichnet.

Für die Abschätzung der Mengen und Gebotspreise aus genehmigten Projekte hat enervis ein umfassendes Auktionsmodell erstellt. Damit lassen sich Prognosen der Gebotspreisentwicklung für die nächste Auktionsrunde sowie auch längerfristig erstellen. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der ersten Runde wurde im enervis Auktionsmodell nun zusätzlich ein Berechnungsmodul für die Abbildung potenzieller Gebote aus BEG-Projekten ohne Genehmigung ergänzt. Damit lassen sich die Auswirkungen von zusätzlichem BEG-Angebot in Bezug auf die Angebotsmenge und Gebotspreisstruktur genau analysieren.

enervis bietet sowohl die Nutzung des Auktionsmodells als auch die Erstellung von Auktionsstudien für die Windbranche an. Bei beiden Produktvarianten stehen dem Auftraggeber zukünftig Sensitivitätsberechnungen bzw. eine Onlineschnittstelle zur Verfügung, über die der Anteil der Bürgerenergie im Auktionsergebnis individuell eingestellt und variiert werden kann. Nähere Informationen zum Auktionsmodell gibt es hier:

www.wind-auktion.de

Eine Klarstellung von enervis zu Presseartikeln in Zusammenhang mit unseren Rechercheergebnissen zu Bürgerenergiegesellschaften finden Sie außerdem hier.

enervis-Autoren
Dr. Nicolai Herrmann, Daniel Peschel

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