Fuel-Switch Kohle/Gas – Temporäres Phänomen oder nachhaltiger Trend?

Betrachtungen und Analysen zur aktuellen Situation von Steinkohlekraftwerken und GuD am Stromspotmarkt

Im Jahresverlauf lässt sich eine Entwicklung am Strommarkt beobachten, die zu Beginn des Jahres von den wenigsten Marktteilnehmern erwartet wurde: Moderne GuD haben sich in der Merit-Order-Kurve vor ältere Steinkohlekraftwerke geschoben. Zumindest für effiziente und moderne GuD-Anlagen steigen Einsatzzeiten und Profitabilität, da deren Grenzkosten im laufenden Jahr unter den Stromerzeugungskosten ineffizienter, alter Steinkohlekraftwerke liegen.

Der wesentliche Grund für diese Entwicklung ist auf den Rohstoffmärkten zu suchen. Sowohl für Steinkohle cif ARA als auch Gas TTF sanken die Spotpreise im Verlauf des Jahres 2015. Für Steinkohle cif ARA von etwa 60 USD/t im Sommer 2015 auf knapp unter 40 USD/t zu Beginn dieses Jahres. Der Gaspreis TTF fiel von einem Niveau von über 20 €/MWh Anfang 2015 auf etwas mehr als 10 €/MWh im Frühjahr 2016.

 

Auch der CO2-Preis hat eine durchaus turbulente Preisentwicklung hinter sich und notiert im September 2016 zwischen 4 bis 5 €/t, in 2015 bewegte sich der Preis noch im Bereich um die 8 €/t.

Durchaus beachtenswert sind die Preisentwicklungen der Commodities seit Anfang 2016. Infolge des nach wie vor hohen Überangebotes, geringer Nachfrage und hoher Lagerbestände notiert Gas TTF im Spotmarkt 2016 auf vergleichsweise niedrigem Niveau zwischen 10-15 €/MWh. Ein nachhaltiger Aufwärtstrend in die Preisregionen der vergangenen Jahre ist derzeit nicht auszumachen. Ein eindeutiger Grund für den Abfall des CO2-Preises in 2016 ist hingegen kaum identifizierbar. Unterschiedliche Einflussfaktoren drücken auf das Preisniveau, z.B. Eintrübung der weltweiten makroökonomischen Aussichten, geringerer Hedging-Bedarf der Energieversorger, höheres Angebot infolge geringerer Backloading-Kürzung, Brexit. Der Kohlepreis befindet sich hingegen inzwischen wieder nahezu auf Vorjahresniveau. Hauptsächlich verantwortlich dafür ist die anziehende Nachfrage aus Asien, insbesondere China. Dies infolge von Unwetterkapriolen und der Schließung unwirtschaftlicher Minen, welches zu spürbarem Nettoimportbedarf führt.

Die skizzierte Brennstoff- und CO2-Preisentwicklung der letzten zwei Jahre schlägt sich natürlich auch in den entsprechenden Stromerzeugungskosten von Kohle- und Gaskraftwerken in Deutschland nieder. Hier nachfolgend exemplarisch dargestellt für ein älteres Bestandssteinkohlekraftwerk mit einem durchschnittlichen Wirkungsgrad von 35% und für ein neues, effizientes GuD mit einem Wirkungsgrad von 61%.

Auch unter Berücksichtigung entsprechender Transportkosten an die Kraftwerksstandorte ergibt sich ein interessantes Bild: Seit Frühjahr 2016 ist auf Basis der zugrundeliegenden Brennstoff- und CO2-spotpreise ein Fuel-Switch bei den betrachteten Beispielkraftwerken erkennbar, der in diesem Fall zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit eines modernen GuD im Vergleich zu einem alten, ineffizienten Steinkohlekraftwerk führt. Dies gab es letztmals im Jahr 2011, so dass ein näherer Blick durchaus lohnenswert ist.

Mit Hilfe eines detaillierten Kraftwerkseinsatzoptimierungsmodells, mit welchem der erlösoptimierte Einsatz von verschiedenen Kraftwerkstypen unter vorgegebenen technischen und wirtschaftlichen Randbedingungen modelliert wird, ist enervis in der Lage, hochaufgelöste Einsatzoptimierungen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen für unterschiedliche Kraftwerkstechnologien durchzuführen.

Unter Anwendung dieses Tools wurde der Einsatz des Steinkohlekraftwerkes (35%) und des GuD (61%) am Stromspotmarkt (hier aus Vereinfachungsgründen ohne Regelenergievermarktung und Wärmeerlöse) der Jahre 2015 und 2016 modelliert. Datenbasis sind Ist-Werte (01/2015 – 09/2016) Steinkohle API2, Gas TTF, EUA CO2, stündliche EEX-Spotpreise sowie kraftwerkstypische sonstige Einsatzkosten. Für die Monate 10-12/2016 wurden die Werte 09/2016 fortgeschrieben.

Die Modellierungsergebnisse stützen die auf Basis der betrachteten Erzeugungskosten formulierte These, der in 2016 häufigeren Einsatzzeiten und etwas höheren Profitabilität (auf die Grenzkosten, Vollkosten erwirtschaften neue GuD genauso wie neue Steinkohlekraftwerke trotzdem nicht) neuer GuD und des momentan stärker zunehmenden wirtschaftlichen Drucks auf alte Steinkohleanlagen.

Interessant ist vor diesem Hintergrund ein Blick in die nähere Zukunft und eine Abschätzung für den Terminmarktzeitraum 2017 bis 2019. Für die Brennstoff- und CO2-Preisnotierungen dieser Jahre wurden aktuelle Futurenotierungen (Stand EEX Ende September 2016) herangezogen. Die Prognose der Stromspotpreise auf Stundenbasis erfolgte auf Basis der Projektion eines aktuellen enervis Best Guess Strommarktszenarios, welches mit Hilfe des fundamentalen enervis Strommarktmodells erstellt wurde und sehr wahrscheinliche Marktentwicklungen bis 2019 unterstellt.

Die derzeitigen Terminmarktnotierungen der Jahre 2017 bis 2019 für Steinkohle API2 und Gas TTF verlaufen in ihrer Tendenz allerdings unterschiedlich. Steinkohle wird auch für die Frontjahre in etwa auf dem derzeitigen Spotpreisniveau für etwas unter 60 USD/t gehandelt. Eine klassische Contango-Situation herrscht beim Gaspreis. Hier liegen die Frontjahresnotierungen zwischen 15 und 16 €/MWh deutlich über dem heutigen Preisniveau. Der gehandelte CO2-Preis steht robust bei etwa 4 bis 5 €/t für die kommenden Jahre.

Aus dieser Konstellation der Brennstoff- und CO2-Preise schließt sich tendenziell der Erzeugungskostenspread Kohle/Gas wieder, da der Gaspreis stärker anzieht und verhältnismäßig höher notiert. Die Betrachtungen zeigen, dass sich für die Frontjahre 2018 und 2019, basierend auf den derzeitigen Futurenotierungen, der Fuel-Switch zwischen dem exemplarisch betrachteten Bestandssteinkohlekraftwerk (35%) und dem neuen GuD (61%) wieder umkehren sollte.

Herausfordernd bleibt die Lage am Strommarkt trotzdem – grundsätzlich für beide Kraftwerkstypen. Aufgrund der mittelfristigen Strukturveränderungen im Kraftwerkspark sind folgende Entwicklungen absehbar: Sofern das betrachtete Steinkohlekraftwerk bis 2019 am Netz bleibt, könnte es – fundamental betrachtet – in dieser Zeit über den Merit-Order Effekt vom Kernenergieausstieg (Abschaltung Gundremmingen B in 2017), der Stilllegung weiterer alter Steinkohlekraftwerksblöcke sowie der Überführung von Braunkohleanlagen in die Sicherheitsreserve theoretisch zunächst etwas profitieren. Abzuwarten bleibt, wie sich im Zuge des Ausschreibungsverfahrens der Zubau von Windenergieanlagen in den kommenden Jahren entwickeln wird und welche Wind-Einspeisestrukturen – auf Basis meteorologischer Daten in den Jahren 2017 bis 2019 – sich einstellen werden. Die Szenariomodellierung zeigt, dass sich die unterstellten Stromerzeugungskosten und die skizzierten Marktentwicklungen im Vergleich zu 2016 eher neutral auf Einsatzzeiten und Profitabilität für das betrachtete Steinkohlekraftwerk auswirken.

Gleichfalls ambitioniert bleibt die Lage für neue GuD. Bei isolierter Betrachtung eines Einsatzes nur am Spotmarkt (ohne Regelenergie- und Wärmevermarktung) wird sich – unter der Prämisse der für die Frontjahre angenommenen Brennstoffpreisnotierungen – der in 2016 beobachtete Fuel-Switch in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich wieder umkehren. Aus den Ergebnissen der Szenariobetrachtung wird ersichtlich, dass ein steigender Gaspreis stärker auf Einsatzzeiten und Profitabilität des GuD drücken könnte, als das sich die eher vorteilhaften Strukturveränderungen im Kraftwerkpark positiv auswirken. Dies sind Indikatoren und Anzeichen dafür, dass die – auf neue GuD bezogenen – günstigen Entwicklungen in 2016 lediglich ein Strohfeuer gewesen sein könnten und keinen nachhaltigen Trend eingeleitet haben.

Letztlich bleibt festzuhalten, dass die Entwicklung des Gaspreises nach wie vor hohe Aufmerksamkeit bei der Bewertung von GuD und Steinkohlekraftwerken verdient. Im aktuellen Marktumfeld können bei einem gewissen vergleichbaren Erzeugungskostenlevel unterschiedlicher Kraftwerkstypen – selbst durch scheinbar kleinere Preisverschiebungen einzelner Commodities – Strukturverschiebungen in der Einsatzreihenfolge der Kraftwerke entstehen, die unmittelbar Einfluss auf Einsatz und Profitabilität der Anlagen haben können.

Die Szenariomodellierung zeigt allerdings auch: Sollte das Gaspreisniveau in Zukunft dauerhaft niedrig auf dem Niveau des Jahres 2016 liegen (10-12 €/MWh) und der Steinkohlepreis gleichzeitig konstant über 60 USD/t notieren, dies auch in Verbindung mit einem CO2-Preis jenseits 5 €/t, könnte sich aus dem Lichtblick für neue, effiziente GuD in 2016 durchaus ein Trend entwickeln und zugleich alte, ineffiziente Steinkohleanlagen stark unter Druck setzen.

enervis verfügt über umfangreiche Marktmodelle zur Abbildung und Analyse von Strommärkten. Basierend auf ökonomischen und energiemarktspezifischen Fundamentaldaten erlauben diese Modelle zeitlich hochaufgelöste Preisprognosen und Marktanalysen. www.strommarktmodell.de

enervis-Autor
Mirko Schlossarczyk

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