Wie viel Batteriegroßspeicher verträgt der Primärregelleistungsmarkt?

Betrachtungen und Analysen zur Entwicklung des Primärregelleistungsmarktes bei weiterem Zubau von Batteriegroßspeichern

Im Zuge der Energiewende rücken, auf der Suche nach neuen, erfolgversprechenden Geschäftskonzepten, auch Märkte und Technologien in den Fokus der Marktakteure, die bisher aus unterschiedlichen Gründen eher ein Nischendasein führten. Infolge des Booms im Batteriespeichersegment in den letzten Jahren, gerät zunehmend der Primärregelleistungsmarkt ins Blickfeld. Als derzeit sehr attraktives – jedoch nahezu alternativloses – Erlössegment für Batteriegroßspeicher, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der künftigen Markt- und Preisentwicklung.

Die Aufgabe der Primärregelleistung (PRL) ist es, unvorhergesehene Schwankungen und kurzfristige Laständerungen im Übertragungsnetz unmittelbar auszugleichen bzw. abzufedern. Innerhalb von 30 Sekunden (und für maximal 15 Minuten) muss die angebotene Leistung vollständig zur Verfügung stehen, um die Normalfrequenz von 50 Hertz zu halten und einen Stromausfall zu verhindern. Die Abrufe erfolgen frequenzabhängig durch dezentrale Regeleinrichtungen an den jeweiligen technischen Einheiten.

Die Höhe der von den deutschen Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) vorzuhaltenden PRL wird von ENTSO-E, dem europäischen Verbund der ÜNB, festgelegt. Diese ist dabei so bemessen, dass der zeitgleiche Ausfall der beiden größten Kraftwerksblöcke im gesamten ENTSO-E- Netz (ca. 3.000 MW) von der im gesamten im ENTSO-Raum vorgehaltenen PRL abgefangen werden kann.

Die dabei auf die einzelnen Länder entfallenden Anteile richten sich nach deren Anteil an der Erzeugungskapazität. Deutschland bildet mit Österreich, der Schweiz und den Niederlanden einen Netzregelverbund in dem derzeit in Summe PRL in Höhe von etwa 783 MW ausgeschrieben ist.

Infolge der Kurzfristigkeit der Leistungserbringung kommen als PRL-Anbieter insbesondere thermische und hydraulische Großkraftwerke mit der Möglichkeit zu einer sehr schnellen Leistungsänderung in Frage. Bei thermischen Kraftwerken wird diese schnelle Leistungsänderung insbesondere über das Dampfspeichervermögen der Kessel und die dadurch gegebene Möglichkeit zu einer mengenmäßig begrenzten Leistungserhöhung realisiert.

Von den etwas mehr als 1.000 MW – unter Berücksichtigung der jeweiligen Lastgradienten (!) – tatsächlich zur PRL-Erbringung bundesweit zur Verfügung stehenden Leistung, speist sich ein Großteil aus thermischen Kraftwerken (überwiegend Stein- und Braunkohle). Ein vergleichsweise kleinerer Teil wird von hydraulischen Kraftwerken (Laufwasser) erbracht. Seit 2014 spielen zudem Batteriegroßspeicher – auch infolge der hervorragenden technischen Eignung für die Frequenzstabilisierung – eine Rolle bei der Erbringung von PRL. In 2015 waren etwa 30 MW Batteriespeicherkapazität am PRL-Markt präqualifiziert.

Die Vergütung erfolgt in der Primärreserve ausschließlich über einen Leistungspreis, der in wöchentlichen Ausschreibungen (pay-as-bid) ermittelt wird.

Der mittlere wöchentliche PRL-Leistungspreis, basierend auf dem Durchschnittsgebot aller bezuschlagten Gebote, lag in den vergangenen drei Jahren größtenteils im Bereich zwischen 2.500 bis 4.500 €/MW/Woche (Abb. 1).

Interessant wird es, wenn man sich zudem die jeweiligen Preise der bezuschlagten Wochengebote ansieht.

In Abbildung 2 sind alle wöchentlichen Gebotskurven (PRL-Merit-Order) des Jahres 2015 sortiert nach den bezuschlagten Gebotspreisen dargestellt.

Die kumulierte Leistung der bezuschlagten wöchentlichen Gebote entspricht der wöchentlich bezuschlagten PRL (knapp 800 MW/Woche in den meisten Wochen des Jahres). Es ist klar erkennbar, dass – bis auf wenige Wochen – die Gebotskurven sehr flach sind. Das bedeutet, dass viele technische Einheiten zu einem sehr ähnlichen Preis Primärreserve anbieten. Dieses Phänomen lässt sich auch in den Jahren vor 2015 erkennen.

Unter Berücksichtigung des pay-as-bid Auktionsdesigns ist dies durchaus nachvollziehbar. In einem transparenten Markt versuchen die Anbieter, sich mit ihren Gebotspreisen möglichst dicht unter das Gebot des Anbieters zu legen, der mit seiner Kapazität sehr wahrscheinlich als Letzter den Zuschlag zur Deckung der ausgeschriebenen Nachfrage bekommt. So soll erreicht werden, dass unter Berücksichtigung einer hohen Zuschlagswahrscheinlichkeit der erzielbare Zuschlagspreis trotzdem möglichst hoch ist. Aufgrund der Tatsache, dass der PRL-Markt derzeit und absehbar der einzige Erlösmarkt für Batteriegroßspeicher ist, sollte bei der Gebotsstrategie von Batteriespeichern eine hohe Zuschlagswahrscheinlichkeit oberste Priorität haben. Demnach sollten sich die Gebotspreise von Batteriespeichern möglichst selten ganz rechts in der Merit Order befinden, da dann die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist keinen Zuschlag zu bekommen. Allerdings ist es auch nicht ratsam, zu möglichst geringen Preisen anzubieten. Infolge des pay-as-bid Verfahrens geht Deckungsbeitrag verloren bzw. hat der Speicherbetreiber Kosten zu decken und sollte daher natürlich nicht zu beliebig niedrigen Preisen in den Markt bieten.

Wirft man einen Blick auf die absoluten Zuschlagspreise in 2015 (Abb.1), wird ersichtlich, dass bei den derzeitigen Investitions- und Betriebskosten für Batteriegroßspeicher die Wirtschaftlichkeit – sofern eine möglichst maximale Speicherkapazität präqualifiziert ist – durchaus darstellbar ist. Verständlich ist vor diesem Hintergrund ein erhöhtes Investitionsinteresse.

Neben den bereits installierten und präqualifizierten rund 30 MW Batteriegroßspeichern sind etwa weitere 100 bis 150 MW aktuell in Planungs-, Projektierungs- oder Bauphasen. Infolge der Abhängigkeit von den PRL-Erlösen, stellen sich natürlich Fragen hinsichtlich der Perspektiven dieses Marktsegments: Kannibalisiert sich der Markt bei zunehmendem Batteriezubau? Kann das heutige Preisniveau und die Marktstruktur ein verlässlicher Indikator für die künftige Preisentwicklung sein?

Mit der spezifischen Kenntnis der Preisstrukturen und Bietstrategien der Anbieter im PRL-Markt, kann man sich diesen Fragen in einem ersten Schritt durchaus schematisch nähern. Basis der Betrachtung sind die wöchentlichen PRL-Gebotskurven (Abb.2). Legt man die Gedanken zur erläuterten Bietstrategie von Batteriespeichern zugrunde, fügt eine zusätzliche Kapazität (hier unterstellt 250 MW) neuer Batteriespeicher in die Angebotskurve ein und „sortiert“ die Preisgebote dieser neuen Batteriespeicher konservativ links in die Merit-Order, ergibt sich in der Abb. 3.2 folgendes Bild.

Abbildung 3.1:
Wöchentliche Gebotskurven bezuschlagter Einheiten 2015

Abbildung 3.2:
Sensitivität wöchentlicher Gebotskurven bezuschlagter Einheiten 2015 mit unterstellt 250 MW zusätzlicher Kapazität Batteriespeicher

In der Sensitivität ist ersichtlich, dass ein Mengenzuwachs von 250 MW bei konstanter PRL-Nachfrage zunächst zu einer Verlängerung bzw. Rechtsverschiebung aller Gebotskurven führt. Eine Wirkung auf das Preisniveau lässt sich insbesondere bei den sehr steilen Gebotskurven ausmachen (im Bild dunkelrot/dunkelblau) und einzelnen Gebotskurven, die am rechten Ende bei geringer Zuschlagsmenge hohe Preisgebote sehen. In diesen Wochen würde das mittlere Preisniveau spürbar sinken. Bei der Mehrzahl der Gebotskurven allerdings – die sehr flach sind – würde die zusätzliche Kapazität zwar dazu führen, dass Anbieter am rechten Rand der Gebotskurve aus dem Markt gedrückt werden. Allerdings würde das mittlere Preisniveau der wöchentlichen Gebote nur leicht zurückgehen, da die Preisunterschiede aller bezuschlagten Gebote bereits sehr gering waren. Deutlicher wird dies, sobald man sich die Abweichung der wöchentlichen Grenzpreise ansieht (Abb. 4).

Abbildung 4:
Abweichung wöchentlicher PRL-Grenzpreise 2015 bei statischem Mengenzuwachs PRL-Angebot +250 MW

In der Spitze sinkt bei dieser statischen Betrachtung der Gebotskurven 2015 der wöchentliche Grenzpreis in einer Woche des Jahres um knapp 38%. Im Jahresmittel reduziert sich der wöchentliche Grenzpreis bei zusätzlicher PRL-Kapazität +250 MW allerdings lediglich um etwa 6%.

Fazit
Basierend auf einer vereinfachten Sensitivitätsbetrachtung gegenüber den wöchentlichen PRL-Grenzpreisen 2015, erscheinen die Auswirkungen eines Kapazitätszuwachses von 250 MW Batteriespeichern auf das PRL-Grenzpreisniveau größtenteils moderat. Die wöchentlichen PRL-Gebotskurven in 2015 sind mehrheitlich durch die Preisstellung konventioneller thermischer Kraftwerke bestimmt und im überwiegendem Maße ist die generelle Gebotsstruktur und der Preisast am rechten Ende der Gebotskurve flach. Das bedeutet, dass eine deutliche Reduktion eines Großteils der wöchentlichen PRL-Grenzpreise erst bei einem großen Kapazitätszubau an Batteriespeichern erfolgen sollte. Allerdings existieren in einigen Wochen des Jahres Angebotskurven mit einem steilen und hohen Preisast am rechten Ende der Gebotskurve.

In diesen Situationen können dann schon relativ kleine Zubaumengen an Batteriespeichern eine große Grenzpreisreduktion zur Folge haben. Ein Zubau an Batteriespeichern führt wahrscheinlich zu einem geringeren PRL-Preisniveau. Unterjährig betrifft dies die Wochengebote allerdings unterschiedlich stark. Zu beachten ist allerdings auch, dass infolge der generellen Strommarktentwicklungen das Angebot an konventionellen thermischen Kraftwerken, die heute den überwiegenden Teil an PRL zur Verfügung stellen, in den kommenden Jahren zurückgehen wird. Diese Entwicklung könnte unter fundamentalen Gesichtspunkten dann eher für einen stabilen bzw. sogar leicht steigenden PRL-Preis sprechen.

Um eine konsistente und robuste Einschätzung über die künftige Markt- und Preisentwicklung in der Primärregelung zur erhalten, sind daher weitergehende Analysen und Betrachtungen unerlässlich. Neben den – infolge des Kernenergieausstiegs und der Stilllegung einer Reihe von Kohlekraftwerken – spürbaren Veränderungen im Kraftwerkspark und den resultierenden Auswirkungen auf die Angebotskapazität für Primärregelung, gilt es, das künftige PRL-Marktdesign näher zu untersuchen. Die Rahmenbedingungen des Regelenergiemarktes in Gänze unterliegen bereits heute, vor dem Hintergrund sich ändernder Strukturen bei Stromerzeugung bzw. -nachfrage und den Effekten auf die Netze, Veränderungen. So ist es ein erklärtes Ziel der Bundesnetzagentur in Zusammenarbeit mit den Übertragungsnetzbetreibern den Regelenergiemarkt weiter zu öffnen, Eintrittsbarrieren für neue Teilnehmer/Technologien zu senken und Produkte zu flexibilisieren und zu vereinfachen. In der Primärregelung ist perspektivisch durchaus eine Abkehr vom heute praktizierten pay-as-bid Verfahren denkbar. Ebenso liegt eine Restrukturierung der bisherigen wöchentlichen Gebotsverpflichtung hin zu kürzeren Zyklen durchaus in Bereich des Möglichen. Des Weiteren ist die künftige Höhe der europaweit koordinierten PRL-Nachfrage durchaus diskutabel. Damit einhergehende Änderungen im Marktumfeld und in der PRL-Preisstellung würden demzufolge direkt die Wirtschaftlichkeit der anbietenden Einheiten betreffen und den Investitionsrahmen neuer Projekte bestimmen.

Die Analyse der Auswirkungen von zunehmenden Kapazitäten an Batteriegroßspeichern auf die PRL-Preisentwicklung kann daher nur der erste Schritt und ein Aspekt von weiteren Betrachtungen in diesem Segment sein.

enervis verfügt über umfangreiche Marktmodelle zur Abbildung und Analyse von Strommärkten. Basierend auf ökonomischen und energiemarktspezifischen Fundamentaldaten erlauben diese Modelle zeitlich hochaufgelöste (Preis)Prognosen, u.a. der Regelleistungsmärkte. Mit Hilfe eines detaillierten Kraftwerkseinsatzoptimierungsmodells, mit welchem der erlösoptimierte Einsatz von verschiedenen Kraftwerkstypen unter vorgegebenen technischen und wirtschaftlichen Randbedingungen modelliert wird, ist enervis in der Lage – aufsetzend auf den Preisprojektionen im Regelenergiemarkt – Einsatzoptimierungen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Batteriespeicher durchzuführen.

Ansprechpartner bei enervis
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