Regionale Wärmewende: Strom- oder Gasnetz?

Die Diskussion um die Ausgestaltung der Dekarbonisierung des Wärmemarktes ist seit der Verabschiedung des Klimaschutzplanes 2050 in vollem Gang. Zahlreiche Marktakteure haben sich mit ihren Einschätzungen zur sogenannten „Wärmewende“ zu Wort gemeldet. Es steht fest, dass zur Erreichung der politischen CO2-Ziele langfristig bis 2050 gravierende Einschnitte für fossile Energieträger anstehen. Fokus der Debatte war dabei stets die nationale Ebene. Doch welche Auswirkungen sind auf regionaler Ebene für Versorger, Netzbetreiber und Kommunen zu erwarten? Dies wird maßgeblich von der Umsetzung der Dekarbonisierung und der Ausgestaltung der Wärmewende abhängen und das Geschäft kommunaler Akteure in den nächsten Jahrzehnten bestimmen.

Der Wärmemarkt
Der Wärmemarkt ist mit einem Gesamtendenergiebedarf von ca. 1.300 TWh/a in den Segmenten Haushalte, GHD und Industrie einer der größten Absatzmärkte für fossile Brennstoffe und rückt nicht überraschend in den Fokus der Dekarbonisierung.

Geprägt durch lange Investitionszyklen reagiert er entsprechend träge auf sich ändernde Rahmenbedingungen. Jedwede Abschätzung der zukünftigen Entwicklung muss daher einen entsprechend langen Zeithorizont berücksichtigen. Das durch enervis entwickelte Wärmemarktmodell EWMMD erlaubt die Berücksichtigung sämtlicher relevanter Einflussfaktoren und erlaubt die Prognose des Wärmebedarfes sowie der zu dessen Deckung eingesetzten Technologien und Energieträger bis in das Jahr 2050.

Entwicklung des Netto-Wärmebedarfes
Zunächst ist die Entwicklung des Netto-Wärmebedarfes zu bestimmen, d.h. der technologie- und energieträgerunabhängige Bedarf an Raum- und Prozesswärme. Wesentliche Treiber sind dabei Effizienzgewinne im Gebäudebestand und in industriellen Produktionsprozessen sowie Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftswachstum.

In Abbildung 1 sind zwei mit EWMMD erstellte Entwicklungsszenarien skizziert. Das „Trendszenario“ zeigt die Entwicklung auf Basis des in die Zukunft fortgeschriebenen Trends der letzten Jahre von Effizienzgewinnen im Gebäudesegment und in Produktionsprozessen. Das „Effizienzszenario“ hingegen geht von einer Verdopplung der Sanierungsraten im Gebäudebestand sowie der Effizienzgewinne im Industrie und GHD-Bereich aus. Beiden Szenarien liegt eine rückläufige Bevölkerungsprognose sowie eine positive Entwicklung des BIPs zu Grunde.

Es ist deutlich erkennbar, dass trotz der angenommenen Effizienzgewinne der gesamte Wärmebedarf nur langsam reduziert werden kann. So liegt er im Jahr 2050 im Effizienzszenario lediglich 14% unterhalb des Trendszenarios. Eine erfolgreiche Dekarbonisierungsstrategie kann also nicht nur auf Effizienzgewinne abstellen oder diese gar als maßgeblich voraussetzen.

Endenergiebedarf und Technologieauswahl

Zentral für die Wärmewende ist die Frage, welche Technologien und Energieträger in Zukunft eingesetzt werden. Im Rahmen des EWMMD können dazu Technologieinvestitionen dynamisch simuliert werden. Im Trendszenario wird ein Vergleich auf Vollkostenbasis angestellt und günstigere Systeme werden bevorzugt verwendet. Dies ist in Abbildung 2 beispielhaft für ein herkömmliches Gassystem und ein Stromsystem (exemplarische Strom-Wärmepumpe) dargestellt. Zu beachten ist, dass insbesondere im Haushaltssektor Heizungstechnologien im Neubau, bei denen aufgrund der EnEV-Anforderungen singuläre Gassysteme faktisch ausgeschlossen sind, nur einen geringen Einfluss auf den Gesamtmarkt haben.

Es ist ersichtlich, dass im derzeitigen Marktumfeld das Gassystem die günstigste Alternative ist und daher bevorzugt verwendet wird. Dadurch erklärt sich die in Abbildung 3 dargestellte Entwicklung des Endenergiebedarfes bis 2050 im Trendszenario: der Gasbedarf im Wärmesektor erhöht seinen relativen Anteil und steigt auch absolut in den nächsten Jahren an, bis er schließlich aufgrund des generell sinkenden Nettowärmebedarfes wieder abfällt. Fernwärme und Strom können ihren Anteil behaupten, wohingegen Erneuerbare und Umweltwärme leicht zulegen. Öl erlebt einen massiven Rückgang.

Im Effizienzszenario findet hingegen eine erzwungene Elektrifizierung des Wärmemarktes statt, indem Strom-Wärmepumpen in den nächsten Jahrzehnten bevorzugt verwendet werden. Dies hat massive Einflüsse auf den Gasbedarf, der im Vergleich zum Trendszenario stark zurückgeht. Der Strombedarf steigt auf der anderen Seite stark an.

Welche Implikationen ergeben sich daraus?
Zum einen können in den Szenarien die eingesetzten Technologien und der sich ergebende Brennstoffbedarf prognostiziert werden. Dies erlaubt eine Abschätzung der sich jeweils wärmeseitig ergebenden und auf den Endkunden entfallenden Kosten. Denn im derzeitigen System muss der Endkunde die Investition in Dämmung und Heiztechnik übernehmen und schlussendlich die Energierechnung zahlen. Die Wärmewende wird zuallererst den Endkunden treffen.

Gleichzeitig müssen sich Versorger die Frage stellen, welche Auswirkungen verschiedene Entwicklungspfade auf Strom- und Gasnetze und Speicher haben. Welche Investitionen sind vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Willensbekundungen in welche Systeme möglich und ggf. nötig? Lange Abschreibungsdauern machen eine detaillierte Betrachtung der Entwicklungspfade – auch und gerade – auf regionaler Ebene notwendig.

Regionalisierung der Ergebnisse
Die dargestellten Ergebnisse sowie sämtliche im Zuge der Diskussion um Sektorenkopplung und Wärmewende durch öffentliche oder private Institutionen erstellten Studien beziehen sich auf deutschlandweite Entwicklungen. Der Wärmemarkt ist jedoch stark von lokalen Gegebenheiten geprägt:

  • Unterschiede in der Verfügbarkeit (z.B. Netzanschluss) und bei Preisen (z.B. Netzentgelte) von Energieträgern
  • Unterschiede im Gebäudebestand und Energieeffizienz
  • Prognostizierte Bevölkerungsverschiebungen zwischen Stadt und Land
  • Unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeit und Entwicklung
  • Unterschiedliche klimatische Bedingungen

Das enervis-Wärmemarktmodell EWMMD erlaubt daher unter Berücksichtigung regionaler Faktoren eine Prognose des Wärme- und Endenergiebedarfes sowie der zum Einsatz kommenden Technologien und Energieträger auf 1 km² Ebene. Beispielhaft ist dazu in Abbildung 4 die Entwicklung des Netto-Wärmebedarfes auf Gemeindeebene im Trendszenario dargestellt. Deutlich sichtbar ist neben dem generell sinkenden Wärmebedarf eine Stadt-Land Verschiebung aufgrund regionalisierter Bevölkerungsprognosen.

Die regionalisierte Betrachtung der Auswirkung der Wärmewende ist für kommunale Akteure von kritischer Bedeutung: Für Gas- und Stromnetzbetreiber gilt es abzuschätzen, inwieweit zusätzliche Investitionen in die Netze in den verschiedenen Szenarien nötig sind und Handlungsentscheidungen daraus abzuleiten. Regionale Versorger können ihre Absatzmengen langfristig einschätzen.

Weiterhin können kommunalpolitische Implikationen, wie z.B. die Zusatzkosten der Wärmewende in verschiedenen Szenarien für die einzelnen Marktbeteiligten (Haushalte, GHD, Industrie, Versorger, Netzbetreiber) herausgearbeitet werden oder kommunale Energiebedarfsanalysen erstellt werden.

Gleichzeitig dient das EWMMD zur Abschätzung der Kosten auf Wählerebene für integrierte kommunale Klimaschutzkonzepte.

Fazit
Über die genaue Ausgestaltung der Wärmewende herrscht auch auf politischer Ebene keine endgültige Meinung. Sowohl politische Drohszenarien für alle fossilen Infrastrukturen aber auch Szenarien, in denen gerade diese Infrastruktur weiterhin das Rückgrat der Energieversorgung bildet, sind langfristig denkbar. Sowohl die eine als auch die andere Variante wird massive Auswirkungen auf Strom- und Gasverteilnetze sowie auf bestehende Fernwärmenetze haben. Welche das sind und wie darauf reagiert werden muss, kann anhand von Wärmemarktszenarien mit Hilfe des enervis-Wärmemarktmodelles herausgearbeitet werden.

Dies erlaubt es Stadtwerken, Kommunen und Netzbetreibern eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklungspfade der Wärmewende herauszuarbeiten.

Welchen Herausforderungen muss sich das Unternehmen zukünftig stellen? Mit welchen Kosten werden die Wähler konfrontiert? Welche Auswirkungen haben bestimmte Entwicklungen auf den Industriestandort?

Haben wir Ihr Interesse geweckt? Sprechen Sie uns an oder diskutieren Sie mit uns auf unserem Workshop zum Wärmemarkt am 7. März 2017 in Köln.

enervis-Autoren
Sebastian Klein, Dr. Werner Klein

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